Bremer Erklärung zur Lage der ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen

Angesicht wirtschaftlicher Unsicherheiten und der demografischen Entwicklung steht die Gesundheitsversorgung in Bremen wie in Deutschland vor großen Herausforderungen. Die versammelten Ärzte und Psychotherapeuten sowie die Beschäftigten in den Praxen warnen vor den Folgen der aktuellen Gesundheitspolitik. 

Wir machen uns große Sorgen, dass wir die hohe Qualität in den ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen nicht mehr aufrecht halten können. Wir befürchten, dass sich die Einschnitte verschärfen, die Patientinnen und Patienten teilweise jetzt schon erleben: Praxisschließungen, Aufnahmestopps, längere Wartezeiten, reduziertes Angebot.

Dies ist keine Überraschung! Kein Zufall! Und auch kein Versehen! Sondern das Ergebnis einer Gesundheitspolitik, die die Leistungen der Ärzte, Psychotherapeuten und ihrer Praxisteams seit Jahren nicht wertschätzt. Die Grundlagen für eine zukunftssichere Weiterentwicklung unserer Praxen werden kontinuierlich unterhöhlt. Damit gefährdet die Gesundheitspolitik parteiübergreifend die umfassende gute Versorgung der Patientinnen und Patienten! Das muss ein Ende haben!

Wir fordern ein Umdenken in der Politik und ein klares Bekenntnis zum ambulanten System! 

Ein ehrliches Bekenntnis bedingt, dass die Rahmenbedingungen umgehend geändert werden. Daran werden wir die Politik messen. Wir sehen folgende Kernpunkte und schlagen vor: 

 

1. Mangel an qualifiziertem medizinischen Personal

Dieser Mangel trifft die Praxen doppelt:  Es fehlen Ärztinnen und Ärzte und es fehlen Medizinische Fachangestellte und weiteres medizinisches Fachpersonal.  

Um eine medizinische Versorgung im gewohnten Umfang zu erhalten, bilden die deutschen Universitäten zu wenig Humanmediziner aus. Bundesweit fehlen heute schon etwa 5000 Studienplätze. Das ist seit vielen Jahren bekannt. Bremen bildet bisher als einziges Bundesland überhaupt nicht aus – ein großer Standortnachteil. Hinzu kommt, dass bald die geburtenstarken Jahrgänge nicht nur aus dem Beruf ausscheiden, sondern auch den Bedarf an medizinischen Leistungen überproportional ansteigen lassen werden und damit der Mangel für den Einzelnen noch deutlicher werden wird.

Schon jetzt schließen in Bremen und Bremerhaven immer mehr Hausärzte ohne Praxisnachfolger. Während die Ärzteschaft aus eigenen Mitteln Neuniederlassungen in unterversorgten Bereichen massiv fördert, unternehmen unsere beiden Kommunen: nichts. In den Flächenländern ist es längst normal, dass die Gemeinden das Werben um Niederlassungswillige als Teil ihrer Daseinsfürsorge wahrnehmen - auch Bremen darf bei der Sicherung der Versorgung nicht weiter tatenlos bleiben! 

Während die medizinische Versorgung immer mehr ambulant stattfindet, sind die Strukturen der Facharzt-Weiterbildung veraltet und zu sehr auf Krankenhäuser ausgerichtet. Dort lernen Ärztinnen und Ärzte nur ein eingeschränktes Spektrum kennen und bei weitem nicht den vollständigen Versorgungsalltag in den Praxen mit breit gefächerten Erkrankungsbildern und Diagnosen. Die Facharzt-Weiterbildung muss daher verstärkt in den Praxen erfolgen. Eine fachpsychotherapeutische Weiterbildung ist derzeit gar nicht möglich, da es für den verpflichtenden ambulanten Anteil an geeigneten gesetzlichen Regelungen zur Finanzierung fehlt.

Die Finanzierung der Weiterbildung ist eine gesellschaftliche Aufgabe und darf nicht auf die  „Ausbilder“ abgewälzt  werden.  

Ohne Medizinische Fachangestellte (und andere medizinische Fachberufe) geht es nicht! Sie sind das Rückgrat der Praxen. Obwohl die Praxen die Ausbildung leisten, haben sie im Wettbewerb um diese wichtigen Berufsgruppen zunehmend das Nachsehen gegenüber anderen Arbeitgebern wie Krankenhäusern oder Krankenkassen. Diese werben MFA und MTA aktiv ab und bezahlen teilweise deutlich besser – und zwar subventioniert durch Steuergelder und/oder Krankenversicherungsbeiträge. 

Eine gute Bezahlung unserer Praxisteams haben diese verdient - sie muss aber auch in den Praxen von den Krankenkassen finanziert werden.

 

2. Unterfinanzierung

Das Finanzierungssystem für den ambulanten Bereich ist gescheitert. Seit 15 Jahren in Folge sind mit dem "Orientierungspunktwert" die Preise für die Leistungen in der ambulanten Medizin und Psychotherapie immer unterhalb der Inflationsrate angepasst worden - also faktisch von Jahr zu Jahr gefallen. Jedem muss klar sein, dass ein kaputt gespartes System irgendwann kollabiert.

Deshalb fordern wir eine neue gesetzliche Preisfindung, die die Kostenentwicklungen durch Inflation und Tarifabschlüsse unmittelbar abbildet und den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten Investitionen in die Zukunft ermöglicht. 

Die Budgetierung im ambulanten Bereich ist patientenfeindlich. Ein System, dass Fleiß und Mehrarbeit in den Praxen wegen des wachsenden medizinischen Bedarfs  bestraft, ist für unsere Praxisteams demotivierend und den Patientinnen und Patienten nicht zu erklären. Es schafft Intransparenz und auch Fehlanreize, die zu Lasten einer guten Versorgung gehen.

Vielfach wird versucht, die Interessen der Kliniken und der Praxen gegeneinander auszuspielen. Die ambulante Versorgung darf aber kein Steinbruch zur Sanierung der Krankenhäuser sein. Deshalb ist auch bei der Erbringung ambulanter Leistungen an den Kliniken dafür zu sorgen, dass die Vergütung unabhängig vom Ort der Leistungserbringung gleich sein und die Kosten für ihre Erbringung vollständig beinhalten muss.

 

3. Notwendige Patientensteuerung

Wenn nur begrenzte Mittel für die gesundheitliche Versorgung zur Verfügung gestellt werden, kann es keine "Flatrate"-Versorgung geben. Alle erbrachten Leistungen müssen auch bezahlt werden - hier scheut die Politik ihre Verantwortung, Prioritäten für eine notwendige und wirtschaftliche Versorgung zu setzen. Stattdessen wird erwartet, dass die Beschäftigten in Praxen und Kliniken eine ausufernde Inanspruchnahme auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit und Bezahlung leisten.

Am Beispiel der seit Jahren explodierenden Inanspruchnahme der Bereitschafts-, Not- und Rettungsdienste wird jedem deutlich, dass für das Funktionieren einer guten Versorgung eine verstärkte Steuerung von Patientinnen und Patienten in für sie geeignete Angebote unumgänglich ist.

Die Politik versagt in diesem Punkt bislang vollständig, ihrer Verantwortung gerecht zu werden! Die Überlastung durch Fehl- und Mehrfachinanspruchnahmen betrifft in gleichem Maße auch unsere Praxen - auch hier würde eine stärkere Steuerung die Erreichbarkeit deutlich verbessern.

 

4. Weiterentwicklung der ambulanten Versorgung

Unbestritten stellen der demografische Wandel und veränderte Versorgungsformen die ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung vor große Herausforderungen. Nicht nur die finanziellen, auch die personellen Ressourcen sind begrenzt. Das aktuelle Abrechnungssystem fördert Quantität vor Qualität der Versorgung. Eine kontinuierliche Reform ist erforderlich - aber sie muss gemeinsam mit den Akteuren in der ambulanten Versorgung erfolgen. Dafür muss sich auch die Ärzte- und Psychotherapeutenschaft der Aufgabe stellen, eigene realistische Vorschläge zu entwickeln, die sich am Bedarf ihrer Patientinnen und Patienten orientieren.

Die KV Bremen wird daher 2024 einen "Zukunftstag" organisieren, um über die Versorgungsbereiche hinweg unsere Vorschläge zu diskutieren und beschließen. 

 

Christoph Fox

Leitung Kommunikation und Vorstandsangelegenheiten