Spargesetz und Nullrunde? Was auf die Niedergelassenen zukommt

Inflation, Energiekrise, Spargesetze: Den Praxen weht wortwörtlich ein eisiger Wind entgegen. Politik und Krankenkassen setzen überall, wo sie können, die Daumenschraube an. Wird den Praxen ein solidarischer Beitrag zur Krisenbewältigung abverlangt? Oder geht es um mehr? Ein Überblick.

Nullrunde für Praxen? 

Dass die Positionen weit auseinanderliegen, ist bei Gesprächen ums Geld nicht ungewöhnlich. Was der GKV-Spitzenverband beim Start der Verhandlungen zum  Orientierungswert für 2023 vorgetragen hat, ist aber – vorsichtig formuliert – sehr ungewöhnlich. Demnach müsste die Gesamtvergütung sogar abgesenkt werden, immerhin habe die Ärzteschaft „ja durch das Impfen gegen Corona schon genug Geld verdient.“ Mit Verweis auf diese und andere „Wirtschaftlichkeitsreserven“ sowie durch die Betonung des Berechnungsverfahrens, das lediglich die Kostenentwicklung von 2020 zu 2021 berücksichtigt, kommt die Kassenseite letztendlich auf eine Null.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hingegen fordert unter Einbeziehung der Kostenentwicklung im laufenden Jahr 5,9 Prozent mehr auf den Orientierungswert für 2023. Und natürlich hat sie die Impf-These der Kassen von der Ärzteschaft als das zurückgewiesen, was sie ist: Provokation und Ablenkung. 

Derweil lässt der GKV-Spitzenverband an anderer Stelle die Maske vom Gesicht. In einer Kommentierung zum Finanzstabilisierungsgesetz fordern die Kassen wegen der Kostensteigerungen 4,5 Prozent mehr Verwaltungsumlage für ihre Dienststellen. Während die Kassen das Argument unverschuldeter Kostensteigerungen für die Praxen nicht akzeptieren, machen sie es für sich selbst geltend!


„Wasser predigen und Wein trinken. Viel einfacher kann man das nicht beschreiben, was die Kassen sich hier leisten. Da werden nahezu willkürlich Wirtschaftlichkeitsreserven ausgerufen und gegen die Kostensteigerungen von vor zwei(!) Jahren gerechnet. Heraus kommt eine Nullrunde für die Erhöhung der Punktwerte. Für sich selbst reklamieren die Kassen aber aktuelle inflationsbedingte Anpassungen.“
Dr. Bernhard Rochell | Peter Kurt Josenhans |
Vorstände der KV Bremen


 

Eine „historische“ und strukturelle Benachteiligung

Sollte man die Einschnitte als solidarischen Beitrag zur Krisenbewältigung akzeptieren? Allenfalls dann, wenn alle mitziehen. Doch das tun sie nicht. Die Krankenkassen selbst machen die explodierenden Kosten geltend (siehe oben). Aber auch der stationäre Sektor wird massiv entlastet, was bereits heute feststeht. Das liegt an einer strukturellen Unwucht. 

Für die Finanzierung der Krankenhäuser sind der sogenannte Landesbasisfallwert und die individuellen Hausbudgets maßgeblich. Die Preiskomponente im ambulanten Sektor wird durch den Orientierungswert abgebildet. Diese Maßeinheiten werden zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen verhandelt – aber auf sehr unterschiedliche Weise und nach sehr unterschiedlichen Spielregeln.

Im Rahmen des Landesbasisfallwertes und der hausindividuellen Budgets werden die (Tarif-)Kosten des Personals der Krankenhäuser vollständig refinanziert, ebenso die Sachkostenentwicklungen eingeschätzt anhand der Vorjahreswerte. Förderprogramme kommen on Top. Mit dem Orientierungswert für den niedergelassenen Bereich sind die Allgemeinkostenentwicklungen sowie die der Gehälter des Praxispersonals (mit zwei Jahren Zeitverzug!) gemäß gesetzlicher Vorgabe vollständig abgebildet.

Wirtschaftlichkeitsreserven im stationären Bereich können im Rahmen der Verhandlungen abgezogen werden, müssen aber nachgewiesen sein – was nahezu unmöglich ist. Wirtschaftlichkeitsreserven im ambulanten Sektor können ebenfalls abgezogen werden, müssen aber nur von den Kassen postuliert werden – was viel einfacher ist. 

Diese strukturelle Benachteiligung der Praxen im Vergleich zu den Krankenhäusern lässt sich auch in Zahlen nachweisen. Während der Orientierungswert seit 2009 im jährlichen Durschnitt um 1,0 Prozent angehoben wurde, ist der Landesbasisfallwert im gleichen Zeitraum um durchschnittlich um 2,2 Prozent per anno gestiegen. Landesrundschreiben März 2022, Seite 16ff 

 

Und damit nicht genug: Lauterbachs Spargesetz

Die Rücklagen des Gesundheitsfonds, der Schatztruhe der GKV, sind auf ein Minimum aufgebraucht. Eine Finanzierungslücke von rund 17 Mrd. Euro soll sich aufgetan haben. Folge: Mit dem Entwurf eines GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun Geld bei den Leistungserbringern zusammenscharren. Allen voran bei den niedergelassenen Ärzten. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) soll in weiten Teilen einkassiert werden.

Viele Vertragsärzte können wenig mit dem Kürzel TSVG anfangen. Es geht um die Neupatientenregelung, die Lauterbach wieder abschaffen will. Die Auswirkungen sind ganz konkret. Seit Einführung des Gesetzes haben viele, insbesondere fachärztliche Praxen ihr Angebot ausgeweitet und weitere Termine geschaffen. Wie das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) nachweisen konnte, sind auf diese Weise mehr Patienten ambulant versorgt worden. Mehr Arbeit für die Praxen – aber auch mehr Geld. Allein im Bereich der KV Bremen und allein für das Quartal 1/2022 sind infolge des TSVG rund 3 Millionen Euro mehr in die ambulante Versorgung geflossen.

Erstaunlich: Es war vor allem der Politiker Karl Lauterbach, der sich für die Einführung des TSVG stark gemacht hat, um insbesondere den Zugang von Patienten in die fachärztliche Versorgung zu erleichtern. Der Minister Karl Lauterbach kann sich daran offensichtlich nicht erinnern. 

Bonmots im negativen Sinnen: Mit der Einführung des TSVG wurde im Bundesmantelvertrag die Mindestsprechstundenzeit für Praxen von 20 auf 25 Stunden in der Woche erhöht. Hier ist keine Rückabwicklung geplant …


„Niedergelassene werden zum Sparschwein der Gesundheitspolitik. Während Krankenhäuser voll refinanziert werden, sollen die Niedergelassenen nun die Zeche zahlen. Und nicht nur das, denn durch die Refinanzierung der Personalkosten bei den Krankenhäusern kaufen diese gleich ganz ungeniert den Niedergelassen noch das 
Personal weg… Hier muss endlich politisch eingeschritten werden.“
Dr. Bernhard Rochell | Peter Kurt Josenhans |
Vorstände der KV Bremen


 

Keine Kompensation für Kostenexplosion?

Steigende Personalkosten, eine heftige Inflation und eine ausgemachte Energiekrise: Eine Kompensation ist nicht bzw. in einer nicht angemessenen Höhe zu erwarten (Honorarverhandlungen), stattdessen werden Praxen zusätzlich geschröpft (GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes). Welche Folgen sind zu erwarten?

Einen Hinweis auf diese Frage bringt eine Umfrage der KV Bremen zu den Energiekosten unter ihren Mitgliedern. Jeder zweite Befragter hat angegeben, notwendige Investitionen zurückzustellen. Ein erklecklicher Teil spielt mit dem Gedanken, den Leistungsumfang für gesetzlich Krankenversicherte zu reduzieren, Personal zu entlassen oder auf kurz oder lang die Praxis dicht zu machen.


„Anforderungen hochschrauben, Finanzierung streichen – das Eine. Inflation, Kostenentwicklungen und die Energiekrise ignorieren – das Andere. Das können die Praxen definitiv nicht aushalten. Gegenregulieren kann die einzelne Praxis nur mit Einschränkungen im Leistungsangebot, also Sprechzeiten und Verfügbarkeiten konzentrieren. Das bewirkt das Gegenteil von dem, was Lauterbach mit der Einführung der TSVG-Regelungen gewollt und gelobt hatte. Nur jetzt wird dies durch die aktuelle Kostenexplosion maximal beschleunigt. Ärzte, Psychotherapeuten und Praxispersonal sind stinksauer und enttäuscht, dass ihr Engagement von der Politik mit Füßen getreten wird.“
Dr. Bernhard Rochell | Peter Kurt Josenhans |
Vorstände der KV Bremen


 

#Politik / Gremien

Dr. Bernhard Rochell

Vorsitzender des Vorstands

0421 3404-111

Dr. Knut Spieker

Stv. Vorsitzender der Vertreterversammlung

0421 3404-111

Dr. Stefan Trapp

Vorsitzender der Vertreterversammlung

0421 3404-111

Peter Kurt Josenhans

Stv. Vorsitzender des Vorstands

0421 3404-148